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Ausflüge in die verbotene Zone

Thüringer-Allgemeine vom 22.11.2016

Tchoukball ist dynamisch, anspruchsvoll und beinahe unbekannt – unser Autor hat sich in dem rasanten Sport versucht

Von Martin Lücke

Kai-Uwe Wildner von der SG Urbich steigt zum Wurf hoch, hier in einem Vorrundenspiel der Deutschen Meisterschaft in Erfurt 2013. (Archiv-Foto: Susann Fromm)

Erfurt. Nein. Es ist nicht die entmilitarisierte Zone zwischen Nord- und Südkorea und auch nicht die Umgebung des früheren Atomkraftwerks Tschernobyl. Die verbotene Zone, die es heute zu meiden gilt, liegt in Erfurt-Urbich, in einer Sporthalle direkt hinter dem Bürgerhaus. Und was man nicht alles beachten muss, vor dieser Zone. Möglichst wenig „Fußspuren“ hinterlassen, die Zeit im Auge behalten und am besten auf einem Bein stehend fangen.

Aber das blieb in den zwei Stunden Training ein frommer Wunsch. Zum Nachdenken war auf dem Feld einfach kaum Zeit. Das Spielgeschehen allein forderte volle Aufmerksamkeit.

Der Sport heißt übrigens Tchoukball. Auf dem Weg in den Südosten der Landeshauptstadt zu den Tchoukballern der SG Urbich musste noch ein Stopp im Sportgeschäft eingelegt werden: Hallenschuhe kaufen. Bei der Ankunft in der Sporthalle offenbart sich gleich ein weiterer Mangel an meiner Ausrüstung . Es erwarten mich 16 Sportler und 32 Knieschoner. Es wird viel gekniet beim Tchoukball. Und wie.


Auf der Bank ist es auch ganz schön

Schon die Erwärmung lässt die Spieler nach zügigem Anlauf mehrere Meter auf den Knien über den Hallenboden rutschen, um möglichst schnell einen 3-Kilo-Medizinball aufzunehmen. Ich kann allerdings nur stotternd abbremsen, um dann möglichst sanft runter zu gehen. Das klägliche Schauspiel ist glücklicherweise nicht von langer Dauer. Mitspielerin Susanne Wenzel erbarmt sich und tritt ihre Knieschoner an mich ab.

„Auf der Bank ist’s heut auch ganz schön“, sagt sie lachend und setzt sich an die Seite. Nach ersten Wurfübungen mit dem etwa handballgroßen Ball nehme ich neben ihr Platz. Die Teammitglieder haben mit einem Trainingsspiel begonnen, und angesichts der schnellen Seitenwechsel und sich ständig abwechselnder Angriffe und Abwehrbemühungen müssen erst mal einige Fragen geklärt werden. „Es ist ei-gentlich ganz einfach“, gibt mir Wenzel zu verstehen: „Eine Mischung aus Handball, Volleyball und ja auch etwas Völkerball.“

Aha! Tchoukballer spielen auf einem Handballfeld, mit sieben Spielern pro Team. Da, wo sonst die Tore sind, steht jeweils ein „Frame“ (englisch für Rahmen). Es ähnelt einem kleinen Trampolin, das auf der Seite liegt. Die Angreifer werfen den Ball wuchtig auf den Frame. Punkte machen sie allerdings nur, wenn es der anderen Mannschaft nicht gelingt, den Ball nach dem Abprallen vom Frame zu fangen. Die Versuche, den zurückspringenden Ball zu kriegen, bevor er den Boden berührt, erinnern an Volleyball; das Fangen selbst an Völkerball. Wie beim Handball wiederum dürfen die Angreifer dabei nicht in den Kreis treten, der beim Tchoukball eben die „verbotene Zone“ genannt wird.

Beide Teams können auf beiden Seiten des Feldes angreifen und verteidigen. Susanne Wenzel als „Erklärfrau“ vom Dienst weist mich auf die nützlichen „Dreier-Regeln“ hin: „Du darfst mit Ball maximal drei Schritte machen und ihn nur drei Sekunden in der Hand halten. Nach drei Pässen muss der Wurf auf den Frame geschehen. Eine Mannschaft darf nur dreimal hintereinander auf den gleichen Frame angreifen.“ Die drei Schritte seien eigentlich sogar nur „drei Fußspuren“. Fängt man den Ball mit beiden Füßen auf dem Boden, sei danach nur noch ein Schritt erlaubt.

Die Knieschoner leisten ganze Arbeit

So weit, so gut. Plötzlich deutet Trainer Tobias Pfeifer per Handzeichen an, dass es jetzt ernst wird. Mit den Worten „Du willst das doch jetzt sicher selbst ausprobieren“, reicht er ein rotes Leibchen. Was folgt, kann als gute Fitness-Einheit gewertet werden. Angriff, Pässe, Sprungwurf – abgefangen. Gegenangriff, sofortiges Umschalten auf Verteidigung. Angetäuschter Pass – nein, doch ein rasanter Seitenwechsel. Wurf und Punkt.

So geht das zehn Minuten. Die Knieschoner leisten ganze Arbeit. In der Defensive postieren sich stets drei Spieler an der Kreislinie und versuchen auf Knien, die Frame-Treffer zu fangen. Nach dem Spiel schleppe ich mich zur Bank und muss erst mal verschnaufen. „Ganz schön intensiv, nicht?“, grinst Wenzel: „Das war in den 60-ern mal ein Reha-Sport, hat sich aber seitdem sehr beschleunigt.“ Das glaube ich ihr aufs Wort.

Trainingstagebuch: Das Mitmachen zahlt sich aus. Von draußen noch undurchsichtig, erschließt sich Tchoukball einem im Spiel recht schnell. Sogar einen Punkt konnte ich beisteuern – dafür brauchte es auch nur sieben Versuche der geduldigen Mitspieler, mich vor dem Frame in Szene zu setzen. Und einbeiniges Fangen ist übrigens komplizierter als es klingt.

Susanne Wenzel erklärt dem Gast die Tchoukball-Basics. (Foto: privat)

Etwas Poesie gefällig? Onomatopoesie

  • Das Wort „Tchoukball“ ist onomatopoetisch, also lautmalerisch. „Tchouk“ leitet sich von dem Geräusch ab, das der Ball beim Treffen des Frames macht.
  • Tchoukball soll als kontaktloser Sport weniger Verletzungsgefahr bergen als klassische Ballsportarten.
  • In Thüringen gibt es zwei Vereine: die SG Urbich und den ASC Weimar.
  • In der Thüringenliga des Thüringer Tchoukball-Verbands treten beide Vereine mit mehreren Mannschaften gegeneinander an.
  • Zur Deutschen Meisterschaft im September belegten Urbicher Teams die Plätze vier, sieben und zehn. Kontakt: www.sg-urbich.de/tchoukball

Lars